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Ungleichheit hat in der öffentlichen Debatte und in der sozialwissenschaftlichen Forschung wieder an Interesse gewonnen. Ungleichheit betrifft sowohl die quantitative Verteilung von Ressourcen als auch konkrete menschliche Erfahrungen von Ausgrenzung, Unterdrückung und Respektlosigkeit. Das Thema bietet ein fruchtbares Lernfeld und ist zugleich auch anfällig für Missverständnisse und Konflikte. Dieser Text beginnt mit einigen Klarstellungen, bevor er tiefer in die (Sozio-)Ökonomie der Ungleichheit eintaucht.

1.1 Definition Ungleichheit

Zunächst einmal sollte man Ungleichheit nicht mit Unterschiedlichkeit oder Vielfalt verwechseln, ebenso wenig wie Gleichheit Uniformität oder Gleichartigkeit impliziert. Natürlich sind alle Menschen gleich, insofern sie von der Geburt bis zum Tod die gleichen biologischen Bedürfnisse haben. Und gleichzeitig sind alle Menschen auf einer gewissen Ebene einzigartig und daher verschieden. Wenn Menschen gleich und einzigartig sind, worauf bezieht sich Ungleichheit dann eigentlich? Ausgehend von einer Lehrbuchdefinition lernen wir, dass man von Ungleichheit spricht, “wenn es Unterschiede in der Verteilung einer Ressource (z. B. Einkommen) oder eines Ergebnisses (z. B. Sterblichkeit oder Bildungserfolg) zwischen Gruppen von Menschen oder Orten gibt (z. B. nach sozioökonomischer Gruppe oder nach Geschlecht).” (übersetzt)7 Ungleichheit beschreibt also ein soziales Phänomen, keine natürliche Eigenschaft.

1.2 Unterschiedliche (sozio-)ökonomische Sichtweisen auf Ungleichheit 

In der Volkswirtschaftslehre wird Ungleichheit primär aus einer monetären Perspektive betrachtet, allerdings mit erheblichen Unterschieden zwischen den theoretischen Ansätzen. Der neoklassische Ansatz basiert auf einem individualistischen Weltbild, in dem das individuelle Einkommen das Ergebnis der Produktivität eines Arbeiters oder einer Kapitalbesitzerin ist, d.h. was er*sie zum produzierten Marktwert hinzufügt.8 Verschiedene Schulen der heterodoxen Ökonomie kritisieren diesen Ansatz und weisen auf die Bedeutung struktureller Macht auf den Arbeitsmärkten und die Rolle des Staates bei der makroökonomischen Verteilung hin (z.B. der Keynesianismus). Marxistische Ökonom*innen argumentieren, dass Arbeiter*innen nicht entsprechend ihrer Leistung entlohnt werden, sondern einen Mehrwert erzeugen, der von den Kapitaleigentümer*innen absorbiert wird. Feministische Ökonom*innen betonen die geschlechtsspezifische Trennung von unbezahlter Reproduktionsarbeit und bezahlter Lohnarbeit, wodurch die wirtschaftliche Ungleichheit zwischen den Geschlechtern bis heute fortbesteht. Ökologische Ökonom*innen heben hervor, dass das Produktivitätswachstum aus der unbezahlten Aneignung fossiler Energie und natürlicher Ressourcen resultiert und wie sich Teile der Wohlstandsbildung auf die systematische Abwälzung von Kosten auf andere Regionen oder künftige Generationen stützen.9  

Während ökonomische Ansätze sich primär auf Einkommen und Vermögen konzentrieren, sind sozioökonomische Ansätze an einem breiteren gesellschaftlichen Verständnis von Ungleichheit interessiert. Sie beleuchten den Zusammenhang monetärer Ungleichheit mit soziokulturellen, ökologischen und politischen Ungleichheiten. Göran Therborn (2013) bietet eine hilfreiche Unterscheidung zwischen drei Formen der Ungleichheit:

(1) Ressourcenungleichheit, insbesondere monetäre Ungleichheiten, aber unter anderem auch Kohlenstoff-Ungleichheit.

(2) Vitale Ungleichheit, Ungleichheiten im Gesundheitszustand, insbesondere Unterschiede in der Lebenserwartung.

(3) Existenzielle Ungleichheit, die Ungleichheit von Chancen und Teilhabe im umfassenden Sinn, durch Diskriminierung, Stigmatisierung und Unterdrückung wie zum Beispiel durch Rassismus, Sexismus, Kastenwesen oder Sklaverei.
Das folgende Zitat fasst eine sozioökonomische Perspektive auf Ungleichheit gut zusammen. „Bei Ungleichheit geht es also nicht nur um die Größe der Brieftaschen. Sie ist eine soziokulturelle Ordnung, die (für die meisten von uns) unsere Fähigkeiten als Menschen einschränkt – unsere Gesundheit, unsere Selbstachtung, unser Selbstgefühl sowie unsere Möglichkeiten, in dieser Welt zu handeln und teilzunehmen.” (übersetzt)10 . Diese Perspektive verbindet Ungleichheit mit dem Problem der Armut – einige Menschen werden aufgrund einer ungleichen Gesellschaftsordnung Lebenschancen genommen.

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