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Lektion 2, Thema 11
In Progress

Bekämpfung der Ungleichheit in Zeiten der Klimakrise

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Das erste Kapitel hat gezeigt, dass die verschiedenen Formen der Ungleichheiten eng mit den Kohlenstoffemissionen verbunden sind. Mit anderen Worten: Ungleichheit ist ein soziales und ein ökologisches Problem. Während sich die traditionellen Wohlfahrtsregime (in all ihren Unterschieden) auf soziale Fragen konzentriert haben, müssen Wohlfahrtsregime des 21. Jahrhunderts neue Antworten liefern, die sozialen Ausgleich mit den begrenzten Kohlenstoffbudgets (und planetaren Grenzen im allgemeinen) in Einklang bringen. Bisher bauten die sozialen Errungenschaften von Wohlfahrtsregimen auf der Nutzung eines nicht nachhaltigen Anteils der globalen Biokapazität auf Kosten anderer Weltregionen und künftiger Generationen auf. Die Bekämpfung der Ungleichheit in Zeiten der Klimakrise bedeutet, dass sozialer Ausgleich erreicht werden muss, ohne die Grenzen des Planeten zu überschreiten. Um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen (Pariser Abkommen), müssen die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 45 % gesenkt werden (im Vergleich zu 2010) und bis 2050 auf Null sinken. Wie das verbleibende Kohlenstoffbudget verwendet wird, ist eine Frage der Gerechtigkeit. Es gibt wissenschaftliche Modelle, die besagen, dass die Ressourcen der Erde ausreichen, um die Bedürfnisse von 10 Milliarden Menschen zu befriedigen, wenn die Ungleichheit drastisch reduziert würde.43 Sollen reiche globale Gesellschaftsschichten weiterhin unbegrenzt zugriff auf Kohlenstoffbudget haben, in dem sie z.B. durch die Welt fliegen dürfen? Sollte es Menschen, die in Armut und Entbehrungen leben, erlaubt werden, ihren derzeit sehr geringen Anteil an den Emissionen auszuweiten? Und wie könnte ein guter Lebensstandard für einkommensschwache Haushalte in Europa bei gleichzeitiger Reduzierung ihrer Emissionen durchgesetzt werden? All das sind Verteilungsfragen. 

Um die Klimakrise zu bekämpfen, wird der Ausstoß von Kohlenstoff teurer werden. Eine einfache Besteuerung von Ressourcen hat jedoch regressive soziale Auswirkungen, da sie die Haushaltsbudgets von Geringverdienenden besonders stark belastet. Sozial-ökologische Wohlfahrtsstaaten benötigen daher Umverteilungsmaßnahmen, wie etwa eine jährliche Ausgleichszahlung für die unteren Einkommensgruppen.44 Dies zeigt: Die Bekämpfung der Ungleichheit innerhalb eines Landes und die globale Kohlenstoff-Ungleichheit sind miteinander verbunden. Während monetäre Maßnahmen wie eine progressive Einkommensbesteuerung, Arbeitslosengeld oder verschiedene Formen von Beihilfen für einen sozial-ökologischen Wohlfahrtsstaat wichtig sind, sind sie nicht ausreichend, um Ungleichheit zu bekämpfen, da sie hauptsächlich auf das Individuum und ihr Einkommen abzielen. In Zeiten der Klimakrise ist ein grundlegender Perspektivenwechsel in Bezug auf Ungleichheit erforderlich: Welche Art von Infrastrukturen und Institutionen (die den Rahmen für das tägliche Leben der Menschen bilden) würden es allen ermöglichen, ihre Bedürfnisse mit geringem Ressourcenverbrauch zu befriedigen? Nachhaltig bereitgestellte öffentliche Verkehrsmittel und ein erschwinglicher Zugang zu nachhaltiger Energie, Wasser, Wohnraum, Gesundheit, Pflege und Bildung tragen dazu bei, die Bedeutung von Geld und Konsum bei der Deckung von Bedürfnissen zu verringern. Sozial-ökologische Infrastrukturen umfassen vieles, was sich der*die Einzelne mit Geld nicht leisten kann: von begrünten Straßen über Bibliotheken bis hin zu öffentlichen Schwimmbädern. 

Der Ansatz sozial-ökologischer Infrastrukturen hat gewisse Vorteile gegenüber sozialpolitischen Maßnahmen, die allein auf Geldleistungen beruhen (die existenzielle Not wirksam lindern und die individuelle Selbstbestimmung stärken können). Bezahlbare sozial-ökologische Infrastrukturen können Sicherheit geben, Raum für individuelle Lebensentwürfe bieten, den sozialen Zusammenhalt stärken und ressourcenschonende Strukturen schaffen. Gleichberechtigung bedeutet im 21. Jahrhundert, dass eine ökologische Lebensweise weder ein Privileg noch ein Zeichen von Armut ist, sondern einfach zur Routine, zur neuen Normalität wird. Funktioniert beispielsweise die Nahversorgung, kann der Alltag auch ohne Auto organisiert werden – wie es in dicht bebauten Stadtteilen bereits heute möglich ist. Am Stadtrand und im ländlichen Raum sind noch große öffentliche Investitionen in sozial-ökologische Infrastrukturen nötig, um neue Alltagspraktiken zu ermöglichen: Wenn es bequeme Bahnverbindungen für Pendler*innen gibt, kann auf das Auto verzichtet werden und neu, nachhaltige Routinen können entstehen. Letztlich ist es eine Frage demokratischer Aushandlung, welche soziale Absicherung für alle angesichts eines endlichen CO2-Budgets vorgesehen werden soll, und welche Obergrenzen für individuelle Emissionen dafür nötig sind (siehe Übung: Korridor der Un-gleichheit). Der Beitrag macht deutlich, dass der Verringerung der Ungleichheit eine große Bedeutung zukommt, wenn alle Menschen in Zeiten drastisch reduzierter CO2-Emissionen in der Lage sein sollen, ein gutes Leben führen zu können.

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