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Überblick

Was ist Ungleichheit?

Ungleichheit beschreibt sowohl die Verteilung von Ressourcen als auch konkrete menschliche Erfahrungen von Ausgrenzung, Unterdrückung und Respektlosigkeit. „Von Ungleichheit spricht man, wenn es Unterschiede in der Verteilung einer Ressource (z. B. Einkommen) oder eines Ergebnisses (z. B. Sterblichkeit oder Bildungserfolg) zwischen Gruppen von Menschen oder Orten gibt (z. B. nach sozioökonomischer Gruppe oder nach Geschlecht).” (übersetzt)1. In der Volkswirtschaftslehre wird Ungleichheit primär aus einer monetären Perspektive betrachtet. Sozioökonomische Ansätze vermitteln ein breiteres Verständnis von Ungleichheit. Göran Therborn (2013) bietet dazu eine hilfreiche Unterscheidung zwischen drei Formen der Ungleichheit: Ressourcenungleichheit (z. B. monetäre Ungleichheiten oder Kohlenstoff-Ungleichheit), vitale Ungleichheit (z. B. Ungleichheiten im Gesundheitszustand oder Lebenserwartung) und existentielle Gleichheit (basierend auf Chancengleichheit und Teilhabe in einem umfassenden Sinn, das heißt dem Fehlen von Diskriminierung, Stigmatisierung und Unterdrückung wie zum Beispiel durch Rassismus, Sexismus, Kastenwesen oder Sklaverei). Ungleichheit beschreibt also ein soziales Phänomen und keine natürliche Gegebenheit. Sozioökonomische Analysen zeigen, dass Ungleichheiten durch soziale Institutionen2 geschaffen, verfestigt und durch Machtverhältnisse verursacht werden.

Der Trend: wachsende globale Ungleichheit

Um das Jahr 1500 lag die materielle Produktion pro Kopf in den großen Weltregionen China, Indien und Europa in etwa gleichauf. Mit dem Aufstieg des Kolonialismus begann sich die „Große Divergenz“3 zwischen diesen Weltregionen zu entfalten und den Weg zu ebnen für Jahrhunderte wachsender globaler Ungleichheit, vom Kolonialismus über den Imperialismus bis hin zur gegenwärtigen Spaltung des globalen Nordens und des globalen Südens. Auch in den letzten Jahrzehnten ging der größte Teil des wachsenden Reichtums an diejenigen, die bereits sehr wohlhabend waren. Seit 1995 hat die ärmste Hälfte der Bevölkerung zusammen nur 2 % des weltweiten Vermögenszuwachses erhalten, während die reichsten 1% 38 % des gesamten Vermögenszuwachses verzeichnen konnten.

Einkommens- und Vermögensungleichheit innerhalb von Ländern und Regionen

Während die Einkommen in Ländern wie der Tschechischen Republik, Island und Norwegen eher gleich verteilt sind, weisen das Vereinigte Königreich, die Vereinigten Staaten und Chile eine sehr ungleiche Einkommensverteilung auf. Im Vergleich der Weltregionen ist die Einkommensungleichheit in Europa am niedrigsten und im sog. Nahen Osten am höchsten. In fast allen Ländern hat die Einkommensungleichheit innerhalb der Länder in den letzten Jahrzehnten zugenommen, allerdings in unterschiedlichem Tempo. Vermögen ist dabei meist ungleicher verteilt als Einkommen. Seit den 1970er Jahren hat die Vermögensungleichheit in den meisten Ländern und weltweit zugenommen. Die neoliberale Globalisierung hat in den letzten Jahrzehnten Machtverhältnisse verschoben und zu einem sinkenden Anteil der Arbeitseinkommen sowie zu einer zunehmenden Ungleichheit zwischen verschiedenen Beschäftigungsarten geführt. Weiters hat durch die Privatisierung öffentlicher Vermögenswerte eine Verschiebung des Machtgleichgewichts zwischen privaten und öffentlichen Institutionen stattgefunden, was die Möglichkeiten, der Ungleichheit durch öffentliche Programme entgegenzuwirken, verringert hat.4 

Kohlenstoff-Ungleichheit

Das (ungleiche) Wachstum des materiellen Lebensstandards in den letzten 200 Jahren ging Hand in Hand mit einer exponentiell steigenden Beanspruchung von Biokapazität und insbesondere von Treibhausgasemissionen.5 Heute befinden wir uns inmitten einer menschengemachten Klimakrise und des sechsten großen Massensterbens. Die ungleiche Verantwortung für Kohlenstoffemissionen ist eine wichtige Form der Ressourcenungleichheit: Je reicher ein Land oder eine Person ist, desto höher ist der Verbrauch physischer Ressourcen, der zu Kohlenstoffemissionen führt. Historisch gesehen sind die Länder des globalen Nordens für 92% aller überschüssigen weltweit emittierten CO2-Emissionen verantwortlich.6 Derzeit emittiert das reichste 1% der Weltbevölkerung mehr als doppelt so viel wie die ärmsten 50% zusammen. 

Was kann gegen Ungleichheit getan werden?

Auf nationaler Ebene können Wohlfahrtsregime Ungleichheit verringern. Das liberale Wohlfahrtsregime herrscht in angelsächsischen Ländern wie den USA, dem Vereinigten Königreich und Australien vor. Es ist ein „residualer“ Sozialstaat, der sich an diejenigen richtet, die sich in der Marktwirtschaft nicht selbst versorgen können: Kranke, Menschen mit besonderen Bedürfnissen, oder Erwerbsarbeitslose. Alle anderen sollen für sich selbst sorgen. Der Mittelstand versucht von Sozialleistungen unabhängig zu bleiben – es entstehen private Strukturen wie Privatschulen, private Altersvorsorge und private Krankenversicherungen. Das konservative Wohlfahrtsregime dominiert in Kontinentaleuropa in Ländern wie Deutschland, Österreich und Frankreich. Der Zugang zu einem Großteil der Sozialleistungen ist an die Teilnahme am Arbeitsmarkt und/oder die Staatsbürgerschaft geknüpft. Dadurch entsteht ein Wohlfahrtsstaat für „Insider“ und nicht versicherte „Outsider“. In Skandinavien dominiert das sozialdemokratische Wohlfahrtsregime. Es garantiert universelle soziale Rechte und bietet gut entwickelte öffentliche soziale Infrastrukturen, Bildung, Gesundheit, Pflege und angemessenen Wohnraum für alle.

Während sich diese traditionellen Wohlfahrtsregime (in all ihren Unterschieden) auf soziale Fragen konzentriert haben, müssen Wohlfahrtsregime des 21. Jahrhunderts neue Antworten liefern, die sozialen Ausgleich mit den endlichen Kohlenstoffbudgets in Einklang bringen. Bisher bauten die sozialen Errungenschaften von Wohlfahrtsregimen auf der Nutzung eines nicht nachhaltigen Anteils der globalen Biokapazität auf Kosten anderer Weltregionen und künftiger Generationen auf. Die Bekämpfung der Ungleichheit in Zeiten der Klimakrise bedeutet, dass sozialer Ausgleich erreicht werden muss, ohne die Grenzen des Planeten zu überschreiten. Es braucht also neue Antworten für sozial-ökologische Wohlfahrtsregime. Geldzahlungen können zwar existenzielle Bedürfnisse lindern und die individuelle Selbstbestimmung stärken, reichen aber nicht aus. Um die Klimakrise zu bewältigen, sind Strukturen, die es allen ermöglichen, ihre Bedürfnisse mit geringem Ressourcenverbrauch zu befriedigen, unerlässlich. Nachhaltig bereitgestellte öffentliche Verkehrsmittel und ein erschwinglicher Zugang zu nachhaltiger Energie, Wasser, Wohnraum, Gesundheit, Pflege und Bildung tragen dazu bei, die Bedeutung von Geld und Konsum bei der Deckung von Bedürfnissen zu verringern. Sozial-ökologische Infrastrukturen umfassen vieles, was sich der oder die Einzelne mit Geld nicht leisten kann: von begrünten Straßen über Bibliotheken bis hin zu öffentlichen Schwimmbädern. Bezahlbare sozial-ökologische Infrastrukturen können Sicherheit geben, Raum für individuelle Lebensentwürfe bieten, den sozialen Zusammenhalt stärken und ressourcenschonende Strukturen schaffen. Gleichberechtigung bedeutet im 21. Jahrhundert, dass eine ökologische Lebensweise weder ein Privileg noch ein Zeichen von Armut ist, sondern einfach zur Routine, zur neuen Normalität wird. Letztlich ist es eine Frage demokratischer Überlegungen, welche soziale Absicherung für alle angesichts eines endlichen CO2-Budgets vorgesehen werden soll. Damit alle Menschen in Zeiten drastisch reduzierter CO2-Emissionen ein gutes Leben führen können ist die Verringerung der Ungleichheit von großer Bedeutung. 

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