Von Kanada bis zur Euro-Zone – ist staatliche Geldschöpfung wirklich so einfach?
Länder haben eine gewisse Freiheit bei der Ausgestaltung ihres Währungsmonopols und ihres Fiatgeld-Systems, ohne die nötigen Grundkonstanten zu verändern. Insbesondere können die Beziehungen zwischen dem Finanzministerium, der Zentralbank und dem Bankensektor variieren und die Reihenfolge, in der Geld und Staatsanleihen zwischen ihnen ausgetauscht werden. Oft ist es den Regierungen – anders als in Kanada – nicht erlaubt ihre Staatsanleihen direkt an die Zentralbank zu verkaufen. Stattdessen müssen sie sie an die Banken verkaufen. Das hat den Vorteil, dass die Staatsanleihen direkt dort platziert werden, wo sie ihre Funktion als Geldschwamm entfalten sollen, nämlich im Bankensystem. In den USA zum Beispiel kommen erst die Defizitausgaben der Regierung, die von der Zentralbank ausgeführt werden, wodurch neues Geld entsteht. In einem unabhängigen Schritt werden dann Staatsanleihen in gleicher Höhe an die Banken verkauft. In anderen Staaten muss zunächst die Zentralbank das nötige Geld machen, indem sie Banken Kredite gibt. Und mit diesem neuen Geld kaufen die Banken dann Staatsanleihen.
Was immer gleich bleibt: es ist die Zentralbank, die das neue Geld macht, mit dem die Defizitausgaben getätigt und die Staatsanleihen gekauft werden – denn ansonsten fehlt das dafür nötige Zentralbankgeld im System. Und es sind immer die staatlichen Institutionen, die diesen Prozess kontrollieren. Wenn Regierungen gesetzlich verpflichtet sind, ihre Anleihen nur an das Finanzsystem zu verkaufen, gibt das den Banken keine Macht über die Regierungen, wie man vielleicht meinen könnte. Denn in Ländern mit einer nationalen Währung kann die Zentralbank das Verhalten der Banken sehr genau steuern. Tatsächlich hat die Zentralbank nicht nur einen Leitzins, sondern drei, und indem sie diese geschickt einstellt, kann sie sicherstellen, dass die Banken die ihnen zugedachte Rolle im Prozess spielen und die Anleihen zu dem von der Zentralbank diktierten Zinssatz abnehmen. Die Zentralbank braucht also nicht das Recht, Anleihen direkt von der Regierung zu kaufen, um die Zahlungsfähigkeit der Regierung zu garantieren. Sie kann genauso gut im Hintergrund die Fäden ziehen und dafür sorgen, dass das Zentralbankgeld auf dem Umweg über die Banken bei der Regierung ankommt.
Allein in der Eurozone sind die Dinge viel komplizierter. 19 Länder der Europäischen Union teilen sich eine Fiat-Währung und eine Zentralbank, die Europäische Zentralbank (EZB). Es ist ein Experiment ohne Vorbild und die Verträge, die die Regeln für den Euro und die EZB festsetzen, sind ein Kompromiss. Sie sind geprägt vom Misstrauen, andere Staaten könnten das Geldschöpfungsprivileg der Zentralbank zu ihren Gunsten überstrapazieren und Inflation für alle erzeugen. Um den Euro zu ermöglichen, verpflichteten sich daher die Länder zu einer Reihe von Einschränkungen, die die Defizitausgaben der nationalen Regierungen erschweren oder sogar verhindern. Es wurden Schuldenobergrenzen festgelegt, besonders strenge für Staaten mit hoher Alt-Verschuldung. Außerdem wurde ein künstlicher Markt in den Prozess der staatliche Geldschöpfung implementiert. Die Regierungen müssen ihre Anleihen an die Banken verkaufen – was an sich kein Problem wäre, wie wir oben gesehen haben, da die Zentralbank das nötige Geld für die Banken schöpft, damit die die Anleihen kaufen. Aber das einzigartige Problem in der Eurozone ist, dass die Banken das Geld nehmen und ohne jedes Wechselkursrisiko zwischen 19 verschiedenen nationalen Staatsanleihen wählen können. Diese Ausnahmesituation erlaubt es ihnen, die Zinskosten für einzelne Staaten in die Höhe zu treiben – was im üblichen Fall „eine Währung – eine Staatsanleihe“ nicht möglich wäre. In der Folge leiden die hoch verschuldeten Länder der Eurozone nicht nur unter den Schuldenobergrenzen, sondern laufen auch Gefahr, Zinsen in einer Höhe zu zahlen, die die Schulden wie von selbst steigen lassen.
Diese systemischen Probleme zeigten sich offen seit der Euro-Krise im Jahr 2010, die auf die Finanzkrise folgte. Das Startsignal war, dass Griechenland als Teil der Eurozone nicht von der EZB gerettet wurde. Stattdessen wurde es für zahlungsunfähig erklärt, wie ein Staat des globalen Südens, der in Fremdwährung verschuldet ist. Mit dieser unerwarteten Möglichkeit einer Staatspleite und eines Zahlungsausfalls wurde das Vertrauen in die Verlässlichkeit des Euro-Projekts erschüttert. Der Bankensektor begann, gegen hoch verschuldete Euro-Staaten zu spekulieren und die EZB ließ zu, dass sich die Zinsschere bei den Staatsanleihen verschiedener Länder weit öffnete. Erst 2012 begann die EZB endlich zu intervenieren, nachdem die Verschuldung einiger Euro-Staaten allein auf Grund der unkontrollierten Zinsen weiter angeschwollen war. Mitten in der Wirtschaftskrise wurde das Euro-Regime mit seinen Verschuldungs-Regeln zu einem Austeritäts-Programm, das in weiten Teilen der Eurozone Investitionen und Aufschwung hemmte.
Die merkwürdige Situation eines Marktes für Staatsanleihen in derselben Währung und das Zögern der EZB, Kontrolle über die Zinssätze auszuüben, hat auch zu dem Missverständnis geführt, dass die europäischen Staaten von Banken finanziert werden. Um das noch einmal klarzustellen: Die Eurozone ist ein reines Fiatgeldsystem, in dem die Staaten gemeinsam über das Währungsmonopol verfügen, Bankengeld ist nur ein Geld zweiter Ordnung, das keine Anleihen kaufen, geschweige denn Staaten finanzieren kann. Der Mangel an Geld und Investitionen rührt stattdessen von den Selbstbeschränkungen her, die die Euro-Staaten im Maastricht-Vertrag unterschrieben haben. Leider können diese Regeln nur einstimmig geändert werden, was Änderungen extrem schwierig macht. Infolgedessen plädieren einige Politiker und Parteien in den benachteiligten Ländern für einen Austritt aus der Eurozone, ohne Rücksicht auf die Unwägbarkeiten, die ein solcher Prozess mit sich bringen würde.