Modernes Geld – Der Staat macht es möglich
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Überblick
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Hintergrundinformationen15 Themen
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Was ist Fiatgeld? Und warum ist es so stabil?
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Was sind die großen Vorteile von Fiatgeld? Und was sind die Grenzen?
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Warum haben wir zwei Sorten Geld und wieso dürfen private Banken Geld machen?
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Wie entsteht Giralgeld durch Kreditvergabe? Und wie verschwindet es wieder?
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Ist die Bank reich, weil sie unbegrenzt Giralgeld schöpfen kann?
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Wenn es zwei getrennte Geldkreisläufe gibt – wie kommen dann die Staatsausgaben in den Giralgeld-Kreislauf und damit in die Realwirtschaft?
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Welche Rolle spielen Staatsanleihen bei der staatlichen Geldschöpfung?
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Wie sieht die Geldschöpfung der Regierung im einfachsten Falle aus? Zum Beispiel in Kanada?
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Von Kanada bis zur Euro-Zone – ist staatliche Geldschöpfung wirklich so einfach?
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Wie geht die gefährdete Eurozone mit der Corona-Krise um?
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Warum sind die Schulden der Regierung nicht vergleichbar mit anderen Schulden?
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Müssen Staatsschulden zurückgezahlt werden? Sollten sie zurückgezahlt werden?
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Wann entsteht Inflation? Und warum ist Deflation ein Problem?
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Was sagt eigentlich die neoklassische Konkurrenz? Und wieso macht Kreditgeld einen so großen Unterschied?
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Mehr zur Modern Monetary Theorie?
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Was ist Fiatgeld? Und warum ist es so stabil?
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Endnoten
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Glossar
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Quellen und Hinweise
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Weiterlernen - interaktivVertiefen Sie Ihr Wissen1 Test
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TrainingsmaterialÜbungen für Gruppen2 Themen
MMT beschreibt den Ist-Zustand unseres Geldsystems
Woher kommt das Geld? Wieso ist es meist knapp und in Krisen auf einmal schier unbegrenzt verfügbar? Woher nehmen manche Regierungen in Corona-Zeiten auf einmal Hunderte Milliarden von Euro, Pfund oder Dollar? Und wieso können manche Euro-Staaten das nicht? Regierungen, Zentralbanken oder Banken – wer schöpft eigentlich das Geld und wer leiht es wem? Müssen unsere Kinder diese Staatsschulden irgendwann tatsächlich zurückzahlen?
Dieser Artikel hat zum Ziel, die Grundkenntnisse unseres Geldsystems zu vermitteln, die wir benötigen, um diese Fragen zu beantworten. Dafür nutzt er die Erkenntnisse der Modern Monetary Theory (auch bekannt als Modern Money Theory oder kurz: MMT). Derzeit wird die MMT heiß diskutiert, da sie insbesondere das staatliche Währungsmonopol in den Blick nimmt und eine andere Perspektive auf die Staatsschulden aufzeigt. Die Diskussion und die Kritik rund um MMT konzentriert sich dabei meist darauf, was Geld- und Fiskalpolitik tun oder nicht tun sollten, also auf normative Fragen. Dieser Artikel beginnt dagegen mit den Grundlagen und erklärt unser Geldsystem so wie es ist. Und dafür nutzt er die MMT wegen ihrer soliden wissenschaftlichen Basis: Denn MMT ist die einzige Geldtheorie, die empirisch die Praxis von Banken, Zentralbanken und Finanzministerien studiert und das Geld auf seinem Weg durch die Bilanzen verfolgt. Und in der Tat werden diese Ergebnisse von den jüngsten Zentralbankpublikationen von Europäischer Zentralbank, Bundesbank und Bank of England bestätigt, während sie gleichzeitig explizit Grundannahmen der bisherigen Mainstream-Geldtheorie widersprechen.
Der deskriptive Teil von MMT wird uns helfen zu verstehen welche unterschiedlichen Formen von Geldschöpfung es gibt, wie die Hierarchie zwischen Staat und Bankensystem aussieht und welche unauflösliche Beziehung zwischen Geld und Schulden besteht. Als Einstieg werden nun die Grundregeln unseres Geldsystems in Kürze vorgestellt. Die sich daraus vielleicht ergebenden Fragen und Zweifel werden in der langen Version dieses Artikels beantwortet. Dort finden sich auch Informationen über den supra-nationalen Euro, der die komplexere Version einer staatlichen Währung darstellt. Dennoch treffen auch auf ihn die untenstehenden Grundregeln für modernes Geld zu.
Modernes Geld – Das wichtigste in fünf Punkten
1. Unser Geld wird nicht durch einen anderen Wert, wie zum Beispiel Gold oder Silber garantiert und begrenzt. Auf unseren 50 Euro-Scheinen steht nicht: „Die Zentralbank verspricht ihnen für diesen Schein 1 Unze Gold, eintauschbar in jeder Bankfiliale“. Wir können mit den 50 Euro nur losgehen und jeweils das kaufen, was zum Preis von 50 Euro angeboten wird. Und wir können unsere Steuern damit bezahlen, denn der Staat, der das Geld herausgibt, verpflichtet sich, das Geld für alle Zahlungen anzunehmen. Diese Art staatliches Geld nennt sich Fiatgeld. Da es nicht an ein knappes anderes Material gebunden ist, kann es theoretisch unbegrenzt erzeugt werden.
2. Der Staat hat das Währungsmonopol und sorgt für den Geldwert. Der Staat bestimmt seine Fiat-Währung und nur er darf diese Währung erzeugen. Das bedeutet auch: zuerst muss der Staat die Währung schöpfen und ausgeben. Nur dann haben die Menschen das Geld, um miteinander Handel zu treiben, aber auch um Steuern zu zahlen. Der Staat muss also erst Ausgaben tätigen und kann erst danach Steuern erheben – nicht anderes herum. In der aktuellen Corona-Krise können wir in Echt-Zeit beobachten, dass der Staat uns nicht zuerst besteuern muss, um an das Geld für die zusätzlichen Ausgaben zu kommen. Stattdessen kann er das Geld erzeugen, das er für seine politischen Zwecke braucht. Parlament und Regierung können die notwendigen Ausgaben beschließen, dank des staatlichen Geldschöpfungsmonopols. (Mehr in der langen Version zu den technischen Fragen rund um Staatsanleihen und das Verhältnis von Regierung/Zentralbank/Bankensystem und die politisch gesetzten Grenzen in der Eurozone. Wobei im Ergebnis nichts davon etwas an den hier genannten Grundregeln ändert, die sich aus dem staatlichen Währungsmonopol ergeben.)
Aber wenn der Staat Geld schöpfen kann – wieso muss er dann überhaupt Steuern von seiner Bevölkerung erheben? Besteuerung ist nötig, um Inflation zu verhindern. Denn wenn der Staat jedes jährliche Haushaltsbudget neu schöpfen würde ohne gleichzeitig Geld zurückzusteuern, dann gäbe es bald zu viel Geld und Nachfrage in der Wirtschaft. Es gibt Jahre in denen der Staat das ganze Geld, das er ausgibt, auch wieder zurücksteuert – dann spricht man von einem ausgeglichenen Staatshaushalt. Der Staat kann aber auch Überschüsse erzielen, indem er mehr Geld zurücksteuert, als er ausgibt. In so einem Jahr spricht man von einem Haushaltsüberschuss. Aber oft – besonders in wirtschaftlichen Krisenzeiten – entscheidet sich der Staat weniger Geld zurückzusteuern und einen Teil seiner Ausgaben auf den Konten der Leute zu belassen. In den Bilanzen wird dieser Teil dann als Defizitausgaben vermerkt und er summiert sich über die Jahre zu den sogenannten Staatsschulden. In der traditionellen Perspektive wird die Staatsschuld als Problem behandelt. In der Analyse der MMT sind die Staatsschulden aber keine normalen Schulden, wie die von allen anderen. Sondern sie stehen für die Geldschöpfung des Währungsmonopolisten, die als Schulden registriert werden. Es ist das Geld, das der Staat ausgegeben und nicht zurückgesteuert hat – und das daher noch immer in den Bankkonten irgendwelcher Privater steht und deren Ersparnisse bildet. Solange die staatlichen Defizite nicht zu Inflation führen, ist das für sich genommen kein Problem.
3. Der Staat erzeugt seine Währung mithilfe der Zentralbank. Entweder auf Initiative der Regierung zugunsten der Bevölkerung oder auf Initiative der Zentralbank für das Finanzsystem. Die staatliche Institution, die die Währung technisch erzeugt, ist die Zentralbank. Sie kann in einem Fiatgeldsystem theoretisch unbegrenzt Geld schöpfen. Sie kann technisch betrachtet nicht pleitegehen. Es gibt zwei Sorten von staatlicher Geldschöpfung. Eine haben wir gerade schon kennengelernt: Regierung und Parlament entscheiden im demokratischen Prozess über Ausgaben, die an Haushalte und Unternehmen geschickt werden. Sie werden dabei von der Zentralbank nach Maßgabe der gültigen nationalen und supra-nationalen Gesetze unterstützt.
Doch die Zentralbank kann auch in Eigeninitiative Geld schöpfen. Die Zentralbank verfügt aber über viel weniger demokratische Legitimation und schöpft daher selbständig nur Geld für das Funktionieren des Finanzsystems und zur Verfolgung ihrer geldpolitischen Ziele. Das so erzeugte Geld wird im Bankensystem bleiben und nicht auf unsere privaten Konten und in die Realwirtschaft weiterfließen (siehe Punkt 4 und die Grafik). In großen Wirtschaftskrisen können wir meist die Ausweitung beider Sorten staatlicher Geldschöpfung beobachten: Die Zentralbank selbst schöpft große Mengen an Geld zur Stabilisierung des Finanzsystems. Und die Regierung erhöht die Defizitausgaben zugunsten von Haushalten und Unternehmen und belebt damit direkt die Nachfrage und die Realwirtschaft.
4. Wir leben in einem zwei-stufigen Geldsystem. Nicht nur der Staat, auch normale Banken dürfen Geld schöpfen. Obwohl der Staat das Währungsmonopol hat, erlaubt er auch privaten Banken eine Art Geld zu erzeugen. Es ist das Giralgeld, das auf unseren Girokonten und Sparkonten steht und das wir für Überweisungen nutzen. Dieses Giralgeld ist nicht die echte Währung, sondern nur ein Geld zweiter Ordnung. Es ist ein Versprechen auf Auszahlung. Die Bank verspricht uns, uns unsere Giro-Guthaben jederzeit bar auszuzahlen – oder es zur Bezahlung Dritter für uns weiter zu überweisen. Wir vertrauen diesem Bankengeld, weil wir dafür immer staatliches Bargeld bekommen können und weil der Staat darüber hinaus mit Gesetzen dafür garantiert.
Das Geld, das die Banken schöpfen, heißt Giralgeld oder Bank-Einlagen und nur der private Sektor (also Haushalte und Unternehmen) nutzt es für Überweisungen. Das staatliche Geld heißt dagegen: Währung, Zentralbankgeld oder auch Reserven. Es kommt in ganz materieller Form als Bargeld daher, aber auch in virtueller Form, als Zahlen auf Zentralbankkonten. Der Staat, Banken und Zentralbanken verwenden für ihre Überweisungen untereinander ausschließlich Zentralbankgeld. Das unbare Zentralbankgeld kann nur auf Zentralbankkonten stehen, das Giralgeld nur auf Konten von Geschäftsbanken. Daher vermischen sich die beiden Geldsorten nicht, sondern zirkulieren in getrennten Geldkreisläufen. Nur Bargeld fließt in beiden Kreisläufen und garantiert die Umtauschbarkeit für uns Private. (Siehe Grafik).
5. Geld wird immer in Bilanzen erzeugt und immer in Form eines Kredits, also gleichzeitig mit einer ebenso hohen Schuld. Geld zu erzeugen ist ganz einfach: es wird zusammen mit einer entsprechenden Schuld in die Bilanz einer Zentralbank oder Bank eingetragen. Das Medium unseres Geldes ist die Bilanz, daher ist es seiner Natur nach virtuell, egal ob die Bilanz in einem Bankbuch steht oder in einem Computer. Dennoch hat diese Art der Geldschöpfung ganz reale Folgen: Denn mit der Eintragung des Geldes wird die Partei, der das Geld gutgeschrieben wird, gleichzeitig zur Rückzahlung in der Zukunft verpflichtet, mit allen rechtlichen Konsequenzen. Und die Bank schuldet nun der Kreditnehmerin die Auszahlung des neu geschöpften Geldes oder die Überweisung. Technisch gesprochen wird Geldschöpfung als der Austausch von zwei Forderungen und zwei Verbindlichkeiten bilanziert. Wird Geld an den Geldschöpfer zurückbezahlt, der Kredit also beglichen, erlöschen alle gegenseitigen Verbindlichkeiten und Ansprüche – und damit verschwindet auch das Geld wieder aus den Bilanzen. Geld entsteht und vergeht damit in Bilanzen, gemäß Bilanzierungsvorschriften, im Rahmen von schuldrechtlichen Verträgen und den dazugehörigen Gesetzen. Und es erzeugt selbst rechtliche Folgen. Wir können also sagen: Geld ist ein Geschöpf der Rechtsordnung. Außerdem folgt aus unserem Bilanzierungssystem eine oft ignorierte, aber unvermeidbare Tatsache: Es muss immer gleichviel Schulden wie Geld geben. Damit eine Partei Geld haben kann, muss eine andere Partei Schulden haben.
Wenn man diese unvermeidlichen Bilanzierungsregeln auf die volkswirtschaftliche Makro-Ebene hebt, kann man die nationale und globale Verteilung von Geld und Schulden studieren. Für jedes Land kann man drei sogenannte Sektoren definieren, wobei jeder Wirtschaftsteilnehmer zu einem von ihnen gehören muss. Es gibt: 1. den privaten Sektor (mit allen Haushalten und Unternehmen), 2. den Staat, 3. das sogenannte Ausland (alle ausländischen Wirtschaftsteilnehmer in allen fremden Staaten). Jeder dieser Sektoren kann entweder mehr Schulden oder mehr Guthaben besitzen und damit entweder Netto-Schuldner oder Netto-Sparer sein. Wenn zum Beispiel der private Sektor in Deutschland Netto-Ersparnisse hat, dann muss der deutsche Staat und/oder das Ausland die dazugehörigen Netto-Schulden haben. Wenn in Deutschland der Staat keine neuen Schulden machen will, aber der Private Sektor will seine Netto-Ersparnisse erhöhen – dann müssen dafür die Schulden im Ausland steigen. Wenn ein Sektor (oder ganzes Land) zusätzliche Ersparnisse haben will muss ein anderer Sektor (oder ganzes Land) zusätzliche Schulden machen. Das ist keine Theorie, sondern Buchhaltung.