Staatsverschuldung, Europa und der globale Süden
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Überblick
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Hintergrundinformationen11 Themen
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Was sind Schulden? Was ist Staatsverschuldung?
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Ist eine hohe Staatsverschuldung immer schlecht?
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Was verursacht eine Schuldenkrise?
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Die Jahrzehnte von Bretton Woods
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Die erste globale Staatsschuldenkrise
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Staatsschuldenkrise im globalen Norden
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Die neue Schuldenkrise
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Lösung von Schuldenkrisen (1): Welche Möglichkeiten gibt es?
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A: Der neoliberale Ansatz zur Bewältigung von Schuldenkrisen
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Lösung von Schuldenkrisen (2): Bedingungen, Strukturanpassung und wirtschaftliche Erholung
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Schulden: Lektüre zur Vertiefung
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Was sind Schulden? Was ist Staatsverschuldung?
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Endnoten
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Glossar
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Quellen und Hinweise
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Weiterlernen - interaktivVertiefen Sie Ihr Wissen1 Test
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TrainingsmaterialÜbungen für Gruppen4 Themen
Wie wird Staatsverschuldung angesammelt und gehandhabt? Wie werden Staatsschuldenkrisen vermieden oder bekämpft? Diese Fragen sind entscheidend für das Verständnis vieler globaler Ungerechtigkeiten und vieler ökonomischer Krisen, die in den letzten 50 Jahren die wirtschaftliche Ungleichheit verursacht und verschärft haben – sowohl innerhalb von Staaten als auch zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden.
Derweil toben akademische und politische Debatten darüber, wie hoch die Staatsverschuldung der Regierungen sein darf, wer für nicht rückzahlbare Schulden verantwortlich ist oder für die Verursachung von Schuldenkrisen und welche Reaktion angemessen ist, wenn Regierungen nicht in der Lage sind, ihre Schulden zurückzuzahlen, d.h. wenn sie eine Schuldenkrise erleben.
Obwohl das Thema Schulden entscheidend ist für soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit und Gleichheit, hält die Komplexität des Themas Lehrende und Lernende oft davon ab, sich eingehender damit zu beschäftigen. Das vorliegende Arbeitsmaterial will dieses Problem angehen.
Es soll Unterrichtenden das nötige Handwerkszeug an die Hand geben, die Erwachsenen eine Schulung zum Thema Schuldengerechtigkeit anbieten möchten. Das Material umfasst Folgendes:
1. Schulden: Eine kurze Einführung für erwachsene Lernende, eine zweiseitige Einführung in Schulden und Schuldengerechtigkeit, die als Handout oder einführende Lektüre für erwachsene Lernende verwendet werden kann.
2. Schulden: Ein vertiefter Leitfaden für Unterrichtende, ein ausführlicher zehnseitiger Überblick über die wichtigsten Themen und Debatten im Zusammenhang mit Schulden und Schuldengerechtigkeit im Globalen Norden und im Globalen Süden. Dieser Leitfaden soll das Selbstvertrauen und das Wissen von Unterrichtenden stärken, die Workshops oder Schulungen zum Thema Schulden mit erwachsenen Lernenden durchführen möchten. Für diejenigen, die tiefer in das Thema einsteigen wollen, gibt es einen Leitfaden für weiterführende Literatur.
3. Schulden: Aktivitäten für erwachsene Lernende, eine Reihe von vier Aktivitäten, die zusammen oder einzeln eingesetzt werden können und erwachsene Lernende mit Hilfe einer Reihe von aktiven Lernmethoden in das Thema Staatsschulden und Schuldengerechtigkeit einführen.
Am Ende befindet sich ein Glossar mit Schlüsselbegriffen.
1. Schulden: Eine kurze Einführung für erwachsene Lernende1
Jedes Jahr geben die Länder des globalen Südens 300 Milliarden Dollar für die Rückzahlung von Schulden aus. Schulden verursachen Armut in den betroffenen Bevölkerungen und untergraben die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte. In dieser Einführung wird
beschrieben, wie Schuldenkrisen entstehen, warum Schulden ein Gerechtigkeitsproblem sind und was sich ändern muss, um Schuldengerechtigkeit zu erreichen.
Wem wird das Geld geschuldet, und wer kontrolliert die globalen Finanzen? Länder leihen sich Geld von anderen Ländern (bilaterale Kreditvergabe), multilateralen Institutionen (z. B. IWF, Weltbank, Afrikanische Entwicklungsbank) und privaten Kreditgebern (z. B. Geschäftsbanken und Fonds). Die Kreditgeber dominieren die Verhandlungen über Regeln und Definition der Schulden, insbesondere die internationalen Finanzinstitutionen Weltbank und IWF.
1. Die Weltbank
Ziel: Beseitigung der extremen Armut und Förderung des gemeinsamen Wohlstands. Aktivitäten: Gewährung von Krediten für bestimmte Projekte mit Auflagen oder politische Beratung für Länder im globalen Süden.
2. Der IWF (Internationaler Währungsfonds)
Ziel: Schaffung von globaler Finanzstabilität und nachhaltigem Wirtschaftswachstum.
Aktivitäten: Gewährung von Krediten an Länder, die sich in finanziellen Schwierigkeiten befinden. IWF-Kredite sind an strenge Bedingungen geknüpft.
Weltbank und IWF: Macht und Entscheidungsfindung
189 Länder sind Mitglieder der Weltbank und 190 Länder sind Mitglieder des IWF. Irland ist Mitglied in beiden. Sowohl im IWF als auch in der Weltbank hängt die Anzahl der Stimmen eines Landes ab von der Größe seiner Wirtschaft und der Höhe der Beiträge, die es an die Institution zahlt. Das bedeutet, dass sowohl die Weltbank als auch der IWF von den reichsten Ländern der Welt kontrolliert werden. Die Länder des globalen Südens, die die meisten Kredite aufnehmen, haben das geringste Mitspracherecht bei Entscheidungen. Der Präsident der Weltbank ist immer ein Amerikaner und der Präsident des IWF ist immer ein Europäer. Die Weltbank und der IWF arbeiten zusammen. Eine Regierung muss oft den politischen Bedingungen des IWF zustimmen, bevor sie Hilfe oder ein Darlehen von der Weltbank erhalten kann.
Verschuldung ist eine Frage der Gerechtigkeit
Zu den illegitimen Schulden gehören Kredite, die
● die Schwäche oder Armut des Kreditnehmers ausnutzen
● so untragbar sind, dass ihre Rückzahlung die Menschenrechte untergräbt, weil es dem Staat unmöglich wird, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Grundbedürfnisse zu gewährleisten
● für offensichtlich nutzlose oder überteuerte Projekte gewährt wurden
● Menschen oder der Umwelt Schaden zugefügt haben
„Odious debt“ – übersetzbar mit verabscheuungswürdige, sittenwidrige oder illegitime Schulden – beschreibt Kredite
● an eine despotische Macht oder ein autoritäres Regime
● die von einem Gläubiger gewährt wurden, der wusste (oder hätte wissen müssen), dass das Geld nicht zum Nutzen der Bevölkerung verwendet werden würde
● die gegen die Interessen der Bevölkerung verwendet werden, zum Beispiel zur Finanzierung von Militärregimen, die den Menschen ihre Grundrechte verweigern
Die Auswirkung von Verschuldung auf die Gesellschaften
Die Rückzahlung der Schulden geht auf Kosten von wichtigen staatlichen Leistungen. In einigen Ländern macht der Schuldendienst einen so großen Teil des Haushalts aus, dass nicht genug Geld für die elementare öffentliche Grundversorgung übrigbleibt. Im Jahr 2019 gaben 64 Länder mehr für Schuldenrückzahlungen als für das Gesundheitswesen aus, 45 Länder gaben mehr für Schuldenrückzahlungen als für die sozialen Sicherungssysteme aus und 24 Länder gaben mehr für Schuldenrückzahlungen als für die öffentliche Bildung aus.
Wenn Länder sich in einer Wirtschaftskrise befinden oder kurz davorstehen, wenden sie sich an den IWF, um ein Darlehen zu erhalten. IWF-Darlehen sind an politische und wirtschaftliche Bedingungen geknüpft. Der IWF sagt, dass die Regierung ihre Wirtschaft durch die Erfüllung dieser Bedingungen stabiler machen wird. Die Geschichte hat jedoch gezeigt, dass die Regierungen, die die politischen Bedingungen des IWF umgesetzt haben, die finanzielle Stabilität ihres Landes nicht verbessert haben. Die politischen Bedingungen für IWF-Darlehen haben sich als schlecht für die Gleichheit erwiesen. Zu den Bedingungen gehörten u. a. Kürzungen des öffentlichen Haushalts durch Kürzung der Sozialleistungen einschließlich der Renten, Einfrieren oder Kürzung des Mindestlohns, Erhöhung der Preise für Basisprodukte über die Mehrwertsteuer und Einschränkung der Gewerkschaftsrechte. Diese “Strukturanpassungsprogramme” verschärfen Armut und Ungleichheit und untergraben die Demokratie, weil wichtige politische Veränderungen von den Kreditgebern und nicht von der demokratisch gewählten Regierung ausgehen.
Eine kurze Geschichte der Schuldenkrisen.
In den 1940er bis 1960er Jahren wurden die Länder des globalen Südens von der Kolonialherrschaft unabhängig. Diese neuen unabhängigen Länder hatten eine schwache Wirtschaft und mussten sich Geld leihen. Die reichen Länder vergaben Kredite, oft in unverantwortlicher Weise.
In den 1970er Jahren waren die westlichen Banken aufgrund des gestiegenen Ölpreises reich an Einlagen und investierten dieses Geld in die Vergabe von Krediten an Länder des globalen Südens. Ende der 1970er Jahre stiegen die Kreditzinsen (zwischen 1979 und 1982 haben sie sich mehr als verdoppelt). Gleichzeitig sanken die Preise für die Waren, mit denen die Länder des globalen Südens handeln. Dadurch wurde es schwieriger, die Kredite zurückzuzahlen.
In den 1980er Jahren führte die weltweite Rezession dazu, dass die Kreditgeber aus den reichen Ländern ihre Schulden eintreiben wollten. Die Länder des Globalen Südens waren nicht in der Lage, diese Kredite an private Banken zurückzuzahlen, und so gewährten der IWF und die Weltbank ihnen weitere Kredite. Die Kredite waren an so genannten “Strukturanpassungsprogramme” geknüpft, insbesondere an die Auflage, weniger für öffentliche Daseinsvorsorge wie Gesundheit und Bildung auszugeben. Dies hatte so schädliche Auswirkungen, dass die 1980er Jahre als das “verlorene Jahrzehnt der Entwicklung” bezeichnet werden.
Mit dem globalen Finanzcrash im Jahr 2008 erreichte die Schuldenkrise auch die Länder des globalen Nordens.
Schuldengerechtigkeit
Die Bewegung für Schuldengerechtigkeit geht bis in die 1970er Jahre zurück, als Menschen auf der ganzen Welt gegen die Auswirkungen der IWF-Politik auf ihre Länder protestierten, so zum Beispiel in Argentinien, Ägypten, Costa Rica und Südafrika. In den 1980er und 1990er Jahren wuchs die internationale Bewegung, die einen Schuldenerlass forderte. In den späten 1990er Jahren sammelte die Jubilee-2000-Petition über 24 Millionen Unterschriften. Heute
setzt sich die Bewegung weiterhin für Initiativen zur Schuldengerechtigkeit ein. Einige ihrer Forderungen:
● Ein unabhängiger, internationaler, rechtlich bindender Mechanismus für die Aushandlung von Schuldenerlassen für unrechtmäßige und unbezahlbare Schulden.
● Schuldenprüfungen: sowohl staatliche Prüfungen als auch unabhängige Bürgerprüfungen von Bedingungen, Zwecken, tatsächlicher Verwendung und Auswirkungen dieser Kredite.
● Einrichtung einer internationalen Taskforce zur Bekämpfung illegitimer Altschulden.
● Streichung von illegitimen Schulden und „odious debt“
● Beendigung einer Politik, die weitere Kredite anhäuft. Insbesondere sollten für die Bewältigung der Kosten des Klimawandels Zuschüsse und keine Kredite verwendet werden.
