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Überblick

Wie wird Staatsverschuldung angesammelt und gehandhabt? Wie werden  Staatsschuldenkrisen vermieden oder bekämpft? Diese Fragen sind entscheidend für das  Verständnis vieler globaler Ungerechtigkeiten und vieler ökonomischer Krisen, die in den  letzten 50 Jahren die wirtschaftliche Ungleichheit verursacht und verschärft haben – sowohl  innerhalb von Staaten als auch zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden.  

Derweil toben akademische und politische Debatten darüber, wie hoch die  Staatsverschuldung der Regierungen sein darf, wer für nicht rückzahlbare Schulden  verantwortlich ist oder für die Verursachung von Schuldenkrisen und welche Reaktion  angemessen ist, wenn Regierungen nicht in der Lage sind, ihre Schulden zurückzuzahlen,  d.h. wenn sie eine Schuldenkrise erleben. 

Obwohl das Thema Schulden entscheidend ist für soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit  und Gleichheit, hält die Komplexität des Themas Lehrende und Lernende oft davon ab, sich  eingehender damit zu beschäftigen. Das vorliegende Arbeitsmaterial will dieses Problem  angehen. 

Es soll Unterrichtenden das nötige Handwerkszeug an die Hand geben, die Erwachsenen  eine Schulung zum Thema Schuldengerechtigkeit anbieten möchten. Das Material umfasst  Folgendes: 

1. Schulden: Eine kurze Einführung für erwachsene Lernende, eine zweiseitige  Einführung in Schulden und Schuldengerechtigkeit, die als Handout oder einführende  Lektüre für erwachsene Lernende verwendet werden kann. 

2. Schulden: Ein vertiefter Leitfaden für Unterrichtende, ein ausführlicher zehnseitiger  Überblick über die wichtigsten Themen und Debatten im Zusammenhang mit Schulden  und Schuldengerechtigkeit im Globalen Norden und im Globalen Süden. Dieser  Leitfaden soll das Selbstvertrauen und das Wissen von Unterrichtenden stärken, die  Workshops oder Schulungen zum Thema Schulden mit erwachsenen Lernenden  durchführen möchten. Für diejenigen, die tiefer in das Thema einsteigen wollen, gibt  es einen Leitfaden für weiterführende Literatur.  

3. Schulden: Aktivitäten für erwachsene Lernende, eine Reihe von vier Aktivitäten, die  zusammen oder einzeln eingesetzt werden können und erwachsene Lernende mit Hilfe  einer Reihe von aktiven Lernmethoden in das Thema Staatsschulden und  Schuldengerechtigkeit einführen. 

Am Ende befindet sich ein Glossar mit Schlüsselbegriffen.  

1. Schulden: Eine kurze Einführung für erwachsene  Lernende1 

Jedes Jahr geben die Länder des globalen Südens 300 Milliarden Dollar für die Rückzahlung  von Schulden aus. Schulden verursachen Armut in den betroffenen Bevölkerungen und  untergraben die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte. In dieser Einführung wird  

beschrieben, wie Schuldenkrisen entstehen, warum Schulden ein Gerechtigkeitsproblem sind  und was sich ändern muss, um Schuldengerechtigkeit zu erreichen. 

Wem wird das Geld geschuldet, und wer kontrolliert die globalen Finanzen? Länder leihen sich Geld von anderen Ländern (bilaterale Kreditvergabe), multilateralen  Institutionen (z. B. IWF, Weltbank, Afrikanische Entwicklungsbank) und privaten Kreditgebern  (z. B. Geschäftsbanken und Fonds). Die Kreditgeber dominieren die Verhandlungen über  Regeln und Definition der Schulden, insbesondere die internationalen Finanzinstitutionen  Weltbank und IWF. 

1. Die Weltbank 
Ziel: Beseitigung der extremen Armut und Förderung des gemeinsamen Wohlstands. Aktivitäten: Gewährung von Krediten für bestimmte Projekte mit Auflagen oder politische Beratung für Länder im globalen Süden. 

2. Der IWF (Internationaler Währungsfonds) 
Ziel: Schaffung von globaler Finanzstabilität und nachhaltigem Wirtschaftswachstum. 

Aktivitäten: Gewährung von Krediten an Länder, die sich in finanziellen Schwierigkeiten  befinden. IWF-Kredite sind an strenge Bedingungen geknüpft. 

Weltbank und IWF: Macht und Entscheidungsfindung  

189 Länder sind Mitglieder der Weltbank und 190 Länder sind Mitglieder des IWF. Irland ist  Mitglied in beiden. Sowohl im IWF als auch in der Weltbank hängt die Anzahl der Stimmen  eines Landes ab von der Größe seiner Wirtschaft und der Höhe der Beiträge, die es an die  Institution zahlt. Das bedeutet, dass sowohl die Weltbank als auch der IWF von den reichsten  Ländern der Welt kontrolliert werden. Die Länder des globalen Südens, die die meisten Kredite  aufnehmen, haben das geringste Mitspracherecht bei Entscheidungen. Der Präsident der  Weltbank ist immer ein Amerikaner und der Präsident des IWF ist immer ein Europäer. Die  Weltbank und der IWF arbeiten zusammen. Eine Regierung muss oft den politischen  Bedingungen des IWF zustimmen, bevor sie Hilfe oder ein Darlehen von der Weltbank erhalten  kann. 

Verschuldung ist eine Frage der Gerechtigkeit 

Zu den illegitimen Schulden gehören Kredite, die 

● die Schwäche oder Armut des Kreditnehmers ausnutzen 

● so untragbar sind, dass ihre Rückzahlung die Menschenrechte untergräbt, weil es dem  Staat unmöglich wird, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Grundbedürfnisse zu  gewährleisten 

● für offensichtlich nutzlose oder überteuerte Projekte gewährt wurden 

● Menschen oder der Umwelt Schaden zugefügt haben 

„Odious debt“ – übersetzbar mit verabscheuungswürdige, sittenwidrige oder illegitime  Schulden – beschreibt Kredite 

● an eine despotische Macht oder ein autoritäres Regime 

● die von einem Gläubiger gewährt wurden, der wusste (oder hätte wissen müssen), dass das  Geld nicht zum Nutzen der Bevölkerung verwendet werden würde 

● die gegen die Interessen der Bevölkerung verwendet werden, zum Beispiel zur Finanzierung  von Militärregimen, die den Menschen ihre Grundrechte verweigern

Die Auswirkung von Verschuldung auf die Gesellschaften 

Die Rückzahlung der Schulden geht auf Kosten von wichtigen staatlichen Leistungen. In  einigen Ländern macht der Schuldendienst einen so großen Teil des Haushalts aus, dass nicht  genug Geld für die elementare öffentliche Grundversorgung übrigbleibt. Im Jahr 2019 gaben  64 Länder mehr für Schuldenrückzahlungen als für das Gesundheitswesen aus, 45 Länder  gaben mehr für Schuldenrückzahlungen als für die sozialen Sicherungssysteme aus und 24  Länder gaben mehr für Schuldenrückzahlungen als für die öffentliche Bildung aus. 

Wenn Länder sich in einer Wirtschaftskrise befinden oder kurz davorstehen, wenden sie sich  an den IWF, um ein Darlehen zu erhalten. IWF-Darlehen sind an politische und  wirtschaftliche Bedingungen geknüpft. Der IWF sagt, dass die Regierung ihre Wirtschaft  durch die Erfüllung dieser Bedingungen stabiler machen wird. Die Geschichte hat jedoch  gezeigt, dass die Regierungen, die die politischen Bedingungen des IWF umgesetzt haben,  die finanzielle Stabilität ihres Landes nicht verbessert haben. Die politischen Bedingungen  für IWF-Darlehen haben sich als schlecht für die Gleichheit erwiesen. Zu den Bedingungen  gehörten u. a. Kürzungen des öffentlichen Haushalts durch Kürzung der Sozialleistungen  einschließlich der Renten, Einfrieren oder Kürzung des Mindestlohns, Erhöhung der Preise  für Basisprodukte über die Mehrwertsteuer und Einschränkung der Gewerkschaftsrechte.  Diese “Strukturanpassungsprogramme” verschärfen Armut und Ungleichheit und  untergraben die Demokratie, weil wichtige politische Veränderungen von den Kreditgebern  und nicht von der demokratisch gewählten Regierung ausgehen. 

Eine kurze Geschichte der Schuldenkrisen. 

In den 1940er bis 1960er Jahren wurden die Länder des globalen Südens von der  Kolonialherrschaft unabhängig. Diese neuen unabhängigen Länder hatten eine schwache  Wirtschaft und mussten sich Geld leihen. Die reichen Länder vergaben Kredite, oft in  unverantwortlicher Weise. 

In den 1970er Jahren waren die westlichen Banken aufgrund des gestiegenen Ölpreises reich  an Einlagen und investierten dieses Geld in die Vergabe von Krediten an Länder des globalen  Südens. Ende der 1970er Jahre stiegen die Kreditzinsen (zwischen 1979 und 1982 haben sie  sich mehr als verdoppelt). Gleichzeitig sanken die Preise für die Waren, mit denen die Länder  des globalen Südens handeln. Dadurch wurde es schwieriger, die Kredite zurückzuzahlen. 

In den 1980er Jahren führte die weltweite Rezession dazu, dass die Kreditgeber aus den  reichen Ländern ihre Schulden eintreiben wollten. Die Länder des Globalen Südens waren  nicht in der Lage, diese Kredite an private Banken zurückzuzahlen, und so gewährten der IWF  und die Weltbank ihnen weitere Kredite. Die Kredite waren an so genannten  “Strukturanpassungsprogramme” geknüpft, insbesondere an die Auflage, weniger für  öffentliche Daseinsvorsorge wie Gesundheit und Bildung auszugeben. Dies hatte so  schädliche Auswirkungen, dass die 1980er Jahre als das “verlorene Jahrzehnt der  Entwicklung” bezeichnet werden. 

Mit dem globalen Finanzcrash im Jahr 2008 erreichte die Schuldenkrise auch die Länder des  globalen Nordens. 

Schuldengerechtigkeit  

Die Bewegung für Schuldengerechtigkeit geht bis in die 1970er Jahre zurück, als Menschen  auf der ganzen Welt gegen die Auswirkungen der IWF-Politik auf ihre Länder protestierten, so  zum Beispiel in Argentinien, Ägypten, Costa Rica und Südafrika. In den 1980er und 1990er  Jahren wuchs die internationale Bewegung, die einen Schuldenerlass forderte. In den späten  1990er Jahren sammelte die Jubilee-2000-Petition über 24 Millionen Unterschriften. Heute 

setzt sich die Bewegung weiterhin für Initiativen zur Schuldengerechtigkeit ein. Einige ihrer  Forderungen:  

● Ein unabhängiger, internationaler, rechtlich bindender Mechanismus für die Aushandlung  von Schuldenerlassen für unrechtmäßige und unbezahlbare Schulden.

● Schuldenprüfungen: sowohl staatliche Prüfungen als auch unabhängige  Bürgerprüfungen von Bedingungen, Zwecken, tatsächlicher Verwendung und  Auswirkungen dieser Kredite. 

● Einrichtung einer internationalen Taskforce zur Bekämpfung illegitimer Altschulden.

● Streichung von illegitimen Schulden und „odious debt“  

● Beendigung einer Politik, die weitere Kredite anhäuft. Insbesondere sollten für die  Bewältigung der Kosten des Klimawandels Zuschüsse und keine Kredite verwendet  werden. 

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